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Nichts – von Janne Teller

Die Zeit nennt es ein „brutales und mutiges Buch“.
„Nichts“ ist ein modernes, surreales Märchen, eine aufrüttelnde Parabel, in der es um Nihilismus und der Suche nach Bedeutung und Sinn geht. Ein kontroverses Machwerk, dass zunächst verboten wurde und gleichzeitig Kulturpreise eingeheimst hat, nun zu den Lehrplänen gehört und sogar als Theater inszeniert wurde.

Worum geht’s?

Das Buch fängt heiter, nahezu oberflächlich-seicht an.
Eine siebte Klasse startet nach den Ferien in ein neues Schuljahr. Pierre Anton, einer der Schüler, verlässt mitten im Unterricht die Klasse wieder mit den Worten »Nichts bedeutet irgendetwas, deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.« und setzt sich fortan in den Pflaumenbaum, um die Schüler auf den Weg zur Schule in den kommenden Wochen mit nihilistischen Parolen zu traktieren. Seine Mitschüler fühlen sich durch das Infragestellen ihrer gesamten Existenz bedroht und versuchen zunächst, ihn von seinem Elfenbeinturm herunterzuholen, später mit Steinen und Gewalt zur Aufgabe zu bewegen.
Pierre – der Joker, der Hofnarr – wiederum sieht sich dadurch jedoch in seinen Thesen bestätigt und hinterfragt weiterhin Sinn und Bedeutung des Lebens, lehnt alles ab und provoziert.

Seine Mitschüler entwerfen daraufhin einen Plan, ihn zu widerlegen, indem sie einen Berg an Bedeutung anhäufen. Grüne Sandalen, ein Hamster… ein Gebetsteppich stellen zwar große Opfer für die einzelnen dar, hinterlassen aber eine gewisse Ratlosigkeit. Reicht das aus, um Pierre davon zu überzeugen, dass alles doch irgendwie Sinn macht? Fernab der Aufsicht von Erwachsenen verselbstständigt sich das Projekt und die geforderten Opfer werden immer größer. Spätestens als ein ausgegrabener Kindersarg, ein Hundekadaver oder die Unschuld eines Mädchens dem Bedeutungsberg hinzugefügt werden, kippt das Buch vom surreal-spöttischem zum brutal-beklemmenden. Die Gaben werden mit einer solchen Emotionslosigkeit und Gewalt eingefordert, dass den Leser zunächst ein ungutes Gefühl beschleicht, dass sich in Grauen steigert.
An dieser Stelle hinterfragt man die Motivation der Heranwachsenen, die mit Brutalität immer größere Opfer fordern.

Finster. Finsterer. Am finstersten.

Wie konnte es so weit kommen? Verlieren die Gaben nicht ihre Bedeutung, wenn sie so viel Leid und Schmerz nach sich ziehen? Wieso fühlen sich Pierres Mitschüler so provoziert?
Die 14-jährigen, mitten auf der Suche nach Identität und Bedeutung, sind verwirrt von Pierre’s Parolen.

„In wenigen Jahren seid ihr alle tot und vergessen und nichts, also könnt ihr genauso gut sofort damit anfangen, euch darin zu üben. Wenn sterben so leicht ist, dann deshalb, weil der Tod keine Bedeutung hat. Und wenn der Tod keine Bedeutung hat, dann deshalb, weil das Leben keine Bedeutung hat. Aber amüsiert euch gut.“

Das trifft einen wunden Punkt. In einem Alter, in dem das richtige Smartphone oder die angesagte Jeans die komplette Bedeutung seines Lebens darstellen könnten, rüttelt das Hinterfragen nach dem Sinn des Lebens die Schüler auf. Die Eltern, Lehrer, Aufsichtspersonen drängen einen dazu, etwas aus sich zu machen, JEMAND zu werden… doch wozu?

Wie kam es zu der Kontroverse?

Die Kultusministerien und Schulbehörden waren zunächst der Meinung, dass das düstere Buch Heranwachsenen Hoffnung und Zukunftsfreude nimmt, weshalb es für den Unterricht verboten wurde. Die Autorin hält dagegen:

„Manche Lehrer und Bibliothekare sagen: Dieses Buch ist schädlich für junge Leser, weil es ihnen jede positive Einstellung zum Leben raubt. Das sehe ich völlig anders, und glücklicherweise habe ich recht. Junge Leute stellen sich alle fundamentalen Fragen ganz von allein. Es sind die Erwachsenen, die sich unwohl fühlen, wenn an der Lackierung all dessen gekratzt wird, was wir aus reinem Konformismus täglich mitmachen. Das, was Pierre Anthon und seine Mitschüler tun, um welchen Preis auch immer, ist es doch, die Frage »Hat das Leben überhaupt einen Sinn« in die Frage umzuformen, welchen Sinn es haben sollte.“

Es ist kaum möglich, die beklemmende Stimmung des Buchs in einem kurzen Review einzufangen, ohne das Ende (und damit auch die Durchschlagskraft) vorweg zu nehmen.

Ich empfehle es wärmstens nicht nur für Jugendliche, sondern für all jene, die keine Angst vor einer holprigen und unbequemen Reise nach der Bedeutung des Lebens und der eigenen Existenz haben.
Nach nur 140 Seiten klappt man das Buch zu und ist verwirrt, aufgerüttelt und bedrückt mit einem Berg an Fragen, die noch lange nachhallen.
Lasst uns unserem Kommentarbereich drüber diskutieren, auch gerne über das Ende!

(Spoilerwarnung für die, die es noch nicht gelesen haben!)

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