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Gastbeitrag: Minimalismus mit Kind

Einige von euch haben es sich gewünscht, und unsere Leserin und Bloggerkollegin Julia erzählt in ihrem heutigen Gastbeitrag, wie sie zum Minimalismus gekommen ist. Sie ist in Stuttgart geboren, hat in München studiert, und lebt und schreibt im Bayerischen Wald, obwohl sie dort kaum den Dialekt versteht. Sie hat ein Kind und einen Mann und viele gute Gespräche über Minimalismus zwischen Küchentisch und Sofa.

Vor knapp zwei Jahren bin ich Mutter geworden und irgendwann in der Zeit, die seitdem vergangen ist, bin ich wohl Minimalistin geworden. Mein persönlicher Minimalismus besteht nicht aus einem Kleiderschrank voll Schwarz, Weiß und Grau oder dem Bestreben die Oberflächen unserer Möbel leer zu halten oder die Wände kahl. Es ist mehr ein Streben nach Klarheit und Ruhe. Eine immerwährende Suche nach dem, was ich wirklich brauche. Minimalismus heißt für mich, dass ich mich immer wieder fragen möchte: was macht mich glücklich? Was brauchen wir zum glücklich sein?
Vielleicht kann man sagen, dass Minimalismus für mich Konsumkritik heißt. Aber das beschwört gleich so lustfeindliche Bilder herauf. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was ich anstrebe. Denn, wie ich schon sagte: vor knapp zwei Jahren bin ich Mutter geworden. Mein Leben ist definitiv lustvoll. So ein kleiner Mensch hat einfach Spaß am Leben. Aber so ein kleiner Mensch hat auch berechtigte Ansprüche und ganz eigene Bedürfnisse. Und daher sah ich mich schon in der Nestbauphase der Schwangerschaft vor einen Berg an Konsummöglichkeiten gestellt. Alles Sachen, die man angeblich unbedingt braucht, um den kleinen Wurm erfolgreich durch die ersten 12 Monate zu bringen.

Wenn ich mir jetzt so diese Zeit wieder ins Gedächtnis rufe, glaube ich, dass ich in dem Moment Minimalistin geworden bin, als ich begonnen habe zu hinterfragen, ob es Sinn macht, ein Möbelstück zu kaufen, das man allerhöchstens 12 Monate verwendet. Spätestens aber in dem Moment als ich mir die eine Frage stellte, wegen der bisher so gut wie alle anderen Eltern über mich den Kopf geschüttelt haben. Die eine Frage, die als das eine große Unding der möglichen Elternfragen gilt: „Warum braucht ein Baby eigentlich Windeln?“

Minimalismus mit Kind – Foto via Unsplash

Als ich über den Punkt einmal hinweg war, an dem man normalerweise stehen bleibt. Nämlich an den Grenzen dessen, was in der Kultur, in der man lebt, als selbstverständlich gilt. Als das einmal geschafft war, war es eigentlich recht einfach Minimalistin UND junge Mutter zu sein. Selbstverständlich braucht ein Baby Windeln. (Wobei auch das von manchen in Frage gestellt wird.) Doch warum müssen das Wegwerfwindeln sein? Warum kann ich nicht einfach einen Satz Stoffwindeln bestellen und diese immer und immer wieder verwenden?
Ich wollte eigentlich nicht über die Stoffwindeln meines Kindes sprechen. Aber ich wechsle sie jetzt seit fast zwei Jahren und sie erinnern mich jeden Tag daran, warum es sich lohnt, zu hinterfragen. Das Normale, das Selbstverständliche. Nur weil „Alle“ sagen, man brauche dies und jenes, heißt das nicht, dass man es wirklich braucht.

Konsum als Lösung

Konsum als Lösung? Müsste ich als bekennende Ökotante nicht den Konsum an sich als Problem sehen? Ja.
Aber was mich in meinem Alltag nervt ist ja nicht der weltweite und übermäßige Konsum, der zu verschmutzten Meeren führt und so. Das ist viel zu abstrakt für den täglichen Gang in den Kindergarten.

Nein, ich denke jetzt gerade andersherum: an meine alltäglichen Probleme und die Lösungen, die mir dafür angeboten werden.
Die Hose hat ein Loch – kauf eine neue Hose. Deine Haare stehen in komischen Winkeln ab – kauf dir ein Glätteisen. Das Kind langweilt sich und quengelt – kauf mehr Spielzeug. Der Kinderwagen ist groß, schwer und unhandlich – kauf dir einen neuen, kleinen, faltbaren. Das Kind kann schlecht einschlafen – kauf ein Beistellbett/eine Nachtlampe/ein Buch, das dir beibringt, wie du deinem Kind das Einschlafen beibringst.
Ich erwähne anderen Eltern gegenüber, dass alle Kinderhosen – teilweise noch ganz neue –an den Knien durchgescheuert sind, sofort werde ich informiert, welcher Discounter gerade Kinderkleidung im Angebot hat. Kaufen ist die naheliegende Lösung für beinahe Alles. Besonders bei Themen rund um mein Kind bekomme ich immer wieder Konsum in verschiedenster Form als Lösung meiner Probleme angeboten. Ich müsste doch „nur“ etwas Bestimmtes erwerben, dann liefe mein Alltag wieder rund.

Natürlich muss man, wenn ein Kind unterwegs bzw. bei einem eingezogen ist, einige Dinge erwerben. Aber mich ärgert die Selbstverständlichkeit mit der mir zu jeder Entwicklungsstufe meines Kindes (seit der Entwicklungsstufe ‚Eigener-Herzschlag-Erkennbar‘) neue Einkäufe angetragen werden. Und zwar von allen Seiten – nicht nur von Seiten der Werbung. Daran ärgern mich sogar weniger, die leeren Versprechungen. Denn in den meisten Fällen ist der vorgeschlagene Erwerb nicht mit einer Geling-Garantie verbunden. (Diese niedlichen Nachttischlampen mit bunten Bildern und teilweise sogar mit Musik: Können zum kindlichen Einschlafen beitragen. Müssen es aber nicht.)

Für meinen persönlichen Minimalismus (der zugegeben mehr Weg als Zustand ist) gibt es vor allem EINE wichtige Frage: Was macht mich/uns glücklich? – Die Antwort ist oft genug ein Konsumgut. Ich liebe beispielsweise meine Kleidung und auch mein Kind schön anzuziehen. Und wenn eine Hose ein Loch hat, dann finde ich das traurig. Aber eine neue zu kaufen ist nur eine Lösung, nicht DIE Lösung. Ich liebe meine Haare, aber sie sind störrisch. Natürlich ist ein Glätteisen eine Lösung, aber nur weil viele Menschen Glätteisen benutzen, muss ich das nicht auch tun – es sprechen genug Gründe für mich dagegen und trotzdem bleiben meine struppigen Haare nervig. Und ich liebe mein Kind und ich kaufe gerne Dinge für mein Kind ein. Aber was macht mein Kind glücklich? Ist es glücklicher, wenn es noch mehr Spielzeug in unserem Wohnzimmer verteilen kann?

Was mich also wirklich ärgert an diesen schnellen Konsumlösungen ist a) der Mangel an (Selbst-)Reflexion und b) der Verlust an Selbstbestimmung. Ja, ich werde bei Baby- und Kleinkindbedarf philosophisch. Dazu noch ein Beispiel: Tragesysteme für das Baby. Von sehr vielen Seiten wurden mir Tragetücher nahegelegt als gute Möglichkeit ein unruhiges Baby nah am Körper zu tragen und dennoch beide Hände frei zu haben. Daher kaufte ich eines. Heute kann ich sagen, dass dieses Tuch zwei vielleicht dreimal im Einsatz war, denn unser Kind mochte herumgetragen zu werden erst dann, als das Tragetuch schon viel zu klein war. Das zweite Tuch mit einem anderen System, das ich nach den ersten missglückten Trageversuchen bekommen hatte, wurde gar nie verwendet. Man könnte sagen: Naja, mir hat eben die Erfahrung gefehlt. Aber ich denke, ich hätte die Entscheidung, so ein Ding zu kaufen, einfach nicht aus der Hand geben sollen. Und das habe ich. Ich habe einfach dem geglaubt, was die große Mehrheit sagt.

Uns wurde schon nahegelegt doch ein größeres Auto zu kaufen und in eine größere Wohnung zu ziehen und ich sehe nun auch, warum: Dann kann ich die zusätzlichen Spielzeuge/Tragesysteme/Bettlampen/etc. noch besser unterbringen und mit ihnen den Platz füllen, den mein neuer faltbarer, kleiner Kinderwagen freilässt.

Dinge zu kaufen ist irgendwie einfach. Einfacher als nach Gründen für die Probleme zu suchen, Hosen zu flicken, sich Spiele rund um Sofakissen auszudenken oder auch nur verschiedene Meinungen einzuholen. Ebenso einfach ist es, sich über Konsumverhalten zu ärgern. Das Ärgern ist aber immer wieder ein Anlass nach a) auch b) zu sagen – zu reflektieren, was mich wirklich glücklich macht, und dann die Entscheidung, in was ich mein Geld bzw. meine Zeit investiere, nicht aus der Hand zu geben.
(Wenn ein zweites Kind irgendwann einmal unsere Familie vergrößern wird, dann geb ich den Tragetüchern nochmal eine Chance, aber ein Nachtlicht kauf ich erst, wenn mein Kind sich ausdrücklich eines zum Geburtstag wünscht…)

12 Kommentare

  1. Wow, was für ein toller Artikel!
    Wirklich ganz toll zu lesen und ich mag deine reflektierte Art, mit dem Thema umzugehen. Du nimmst einem die Sorge, dass Kinder zu haben per se teuer ist und man auf einmal viel konsumieren muss. Aber auch hier gilt wohl, dass man sein Gehirn nicht abgegeben hat und sich noch immer anders entscheiden kann, wenn man denn so will :)
    Ich freue mich auf weitere Artikel von dir!

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  2. Hallo Julia,
    auch ich flicke die Hosen meiner Kinder. Die Kleidung von Kinder muss ja nicht immer perfekt sein, man weiß ja, dass sie spielen. Jede Woche neue billige Hosen vom Aldi zu kaufen, wäre Verschwendung.

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  3. Danke, für das positive Feedback!
    Und es freut mich, dass ich nicht alleine bin mit meinem Flickzeug und meiner Stopfnadel!

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  4. Ich freue mich auch, dass ich nicht allein bin, denn es macht nicht immer Spaß, zu flicken. Ich flicke ja auch die Socken der ganzen Familie, wenn die Löcher noch klein sind.
    Die Hosen meiner Kinder halten lange, besonders dann, wenn Knieschoner draufgenäht werden. Oder daraufgebügelt. Die Jüngere trägt die Kleidung der Älteren, da muss ich zum Glück nicht so oft was Neues kaufen.

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  5. Ich glaube vielen kommt es als Rückschritt vor, Kleider wieder zu flicken und zu vererben anstatt sich was Schönes neues zu kaufen/gönnen. Aber ich ziehe soviel Ruhe und Bestätigung daraus Kleidung, die ich mag, zu einem längeren Leben zu verhelfen oder umzuändern, wenn sie ein Update braucht. Das fängt bei Socken an und hört bei Sandalen nicht auf :)
    Socken, die nach dem ersten oder zweiten mal stopfen an weiteren Stellen dünn werden… das ist meine äußerste Stopf-Schmerzgrenze.

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  6. Ganz ganz toller Artikel!! Spiegelt sehr viele meiner Gedanken wider.
    In meinen Augen ist „unser Problem heutzutage“ vor allem eines: Bequemlichkeit. Warum sind Pampers & Co so beliebt? Sie sind EINFACH. Jeder kann damit in zwei Sekunden ein Baby wickeln. Hose kaufen ist definitiv einfacher als Hose flicken und löst bei manchen auch noch ein befriedigendes Gefühl aus.

    Jeder findet seinen eigenen Weg um Muttersein und Minimalismus zu vereinen. Und meinem Kind möchte ich in der Hinsicht vor allem eines mitgeben: Bescheidenheit.

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  7. Werden die Socken an der Ferse immer dünner, dann flicke ich sie auch nicht mehr weiter… sie werden meistens noch zum Schuhe- oder Fahrradputzen genommen und danach weggeworfen.
    Wenn beide Elternteile einen Vollzeitjob haben, kann ich teilweise verstehen, dass sie keine Lust zum Flicken haben. Eine berufstätige Mutter erzählte mir, sie kaufe jede Woche neue Hosen für ihre Söhne (5 und 9 Jahre alt), weil die so schnell kaputtgehen würden. Da war ich etwas geschockt. Vielleicht hat sie es übertrieben und kauft nicht 52 neue, sondern „nur“ 40 neue Hosen im Jahr. Was machen dann aber die Großeltern, die in der Nähe wohnen, nicht mehr berufstätig sind und noch sehr fit aussehen?
    Ich kann das Flicken nicht delegieren, meine Kinder haben leider keine Oma, nur noch meine sehr alte Uroma lebt noch. Aber ich frage mich, ob die ältere Generation es doch noch anders kannte und auch mithilft, um nicht so vieles wegzuwerfen? Viele haben noch die Wirtschaftswunderjahre erlebt und kennen vielleicht keine Knappheit mehr.

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  8. Danke für das Stichwort „Bescheidenheit“! Es ist sehr viel wert, wenn man einfach zufrieden sein kann und sich an einfachen Dingen erfreuen. Großartig, wenn Kinder diese Fähigkeit ausbauen dürfen :)
    Und das mit dem „keine Zeit haben“ kann ich nicht mehr so richtig ernst nehmen. Die meisten haben Zeit sinnloses Zeug im Fernsehen anzusehen…ich hab ja auch Zeit im Internet zu surfen.
    Wie ich schon sagte: selbst entscheiden für was man seine Zeit einsetzen möchte. Das Argument „Stress“ und „keine Zeit“ schiebt zumeist nur die Verantwortung weg von einem selbst. Ich glaube wirklich, den Meisten ist gar nicht klar, dass sie auch eine Entscheidung treffen, wenn sie einfach machen, was Alle machen. Ich persönlich empfinde Wegwerfwindeln als viel komplizierter, denn ich muss ständig darauf achten, ob in der KiTa noch genügend vorrätig sind, während ich Daheim mit den Stoffwindeln im Notfall nur schnell die Waschmaschine anwerfen muss.

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  9. Mein Opa hat noch die Windeln morgens in einem Topf mit Seifenlauge ausgekocht.
    Was am allerbesten für die Umwelt und/oder den Geldbeutel wäre, kann in einer Diplomarbeit untersucht werden. Oder wäre ein Fall für Greenpeace.

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  10. Zum Tuch: Wir haben uns eine persönliche Trageberatung schenken lassen, wo wir Tuch und verschiedene Systeme ausgeliehen haben. Meist kann man diese noch für eine Woche gegen ein geringes Entgelt leihen. Das war bei uns super. Ich bin mit meinem System klasse zurecht gekommen und hab auch zwei verschiedene für größere Kinder später dort ausprobiert und mir nach dem Testens eins gekauft mit dem ich mein Kind bis zum Alter von 3,4 Jahren tragen kann.

    Wir leben Minimalismus mit Kind ebenfalls – allerdings sieht es schon anders aus, als als Paar. Wir haben vorsichtshalber mehr auf Vorrat da, momentan lagern hier Anziehsachen von Größe 56 bis 92 und und und…

    Ich leite Wünsche gerne an die Großeltern weiter. Unser Kind spielt mit dem Duplo seines Vaters und mit allen Möbeln und verfügbaren Alltagsgegenständen.

    Danke für den Artikel!

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  11. Ein Paar aus unserem Freundeskreis hat sich nach der Geburt des 1. Kindes sofort ein größeres Auto angeschafft, eine Kinderzimmerkomplettausstattung und ist in eine größere Wohnung umgezogen. Daraufhin hab ich mir nur gedacht: Wenn das mit so vielen Anschaffungen verbunden ist, kriegen wir nie ein Kind…
    – Danke für deine Alternativen!!! :) Eine Frage nur: Wie schaffst du es, deinen Weg zu gehen, ohne dass du dich immer rechtfertigen musst oder vielleicht auch denkst, deinem Kind könnte doch irgendwas fehlen?

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  12. Super schön und vor allem nachvollziehbar geschrieben. Ich sitze gerade an einem ganz ähnlichen Artikel, unser Kind ist auch fast 2 Jahre alt, ich kann also so viele Punkte nachvollziehen!

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