Artikel
3 Kommentare

Gastbeitrag: Minimalismus mit Kind II

Egal welche Überzeugungen man hat und im Leben versucht umzusetzen, es ist so gut wie sicher, dass man irgendwann auf eine Person trifft, die einen darüber informiert, dass die eigenen Grundsätze in dieser oder jener Situation nicht aufrechtzuhalten seien und daher schwachsinnig. Oder so ähnlich. Ich nenne das für mich die „Ganz-Oder-Gar-Nicht-Mentalität“. Entweder ein Konzept hält allen Widrigkeiten stand oder es taugt nichts. Entweder du kannst etwas immer und überall durchziehen oder du lässt es bleiben.

Jetzt werden viele von Euch den Kopf schütteln, denn hier auf Minimalistenfreun.de habe ich schon oft die sehr kluge Einsicht gelesen, dass man sich selbst nicht gängeln darf. Den eigenen Minimalismus nicht über die Grenzen des eigenen Wohlbefindens hinaus treiben muss und sich dennoch als minimalistisch lebend ansehen kann. Und, wenn ich so etwas lese, dann freue ich mich immer, denn in meinem Alltag höre ich solche ermutigenden Worte selten. Und spätestens, wenn es um das Kind geht, werden die Worte zu Ratschlägen oder Anweisungen, denn es geht ja um das Wohl desselben.

Aber nochmal von vorn. Ich habe mir selbst das Ziel gesetzt, minimalistisch zu leben. Und wenn ich in ruhigen Momenten darüber nachdenke, erscheint es mir ganz leicht, mich von all dem Zeug, das ich besitze, zu trennen und dann stelle ich es mir ganz leicht vor, nur noch mit zehn Kleidungsstücken und zwei Tellern auszukommen. Oder ohne diese Kisten voller alter Briefe und Tagebücher, die mir jedes Mal ein Unbehagen machen, wenn ich sie sehe, weil ich es nicht wage hineinzuschauen und zu lesen, was mich damals bewegt oder wer mir damals geschrieben hat. Ohne die könnte ich super leben!

Doch dann kommt die Erkenntnis, dass ich mich (noch) nicht trennen kann, weder von alten Briefen noch vom Großteil meines Kleiderschrankes und dass mein Alltag ungemein viel leichter ist, wenn ich eher zu viele Teller als zu wenig besitze. Und dann erst die ganzen Kindersachen. Ich kann ja nicht einfach in großer Minimalisierungswut die ganzen Spielsachen wegwerfen oder die Bilderbücher, die verschiedene Verwandte liebevoll ausgesucht haben und die mein Kind immer noch gern durchblättert, obwohl die Bücher mit Geschichten schon interessanter sind. Und die Babystrampelanzüge, die wenigen, die ich selbst gekauft habe. Die sollte man doch auch aufheben. Und so verstricke ich mich in ‚Aber‘ und Einwände und stoße in alle Richtungen, in die ich zu minimalisieren versuche, an Grenzen, die mich zum Status Quo zurückwerfen.

Da kommt dann wieder das Kopfschütteln. Aber von mir selbst. Ich denke wieder an meinen obersten Grundsatz, den ich versuche allen Entscheidungen zugrunde zu legen: Was macht uns glücklich? – Das ist keine einfache Leitlinie, denn auf sie folgen verschiedenste Überlegungsstränge, die von der allgemeinen Frage nach dem Glück in die hintersten Winkel meines Alltags führen. Also z.B. von der Feststellung, dass ich gerne meine Familie und Freunde zu Besuch habe, zur Erkenntnis, dass mehr als zwei Teller zu haben, sinnvoll ist. Aber auch zu der schlichten Tatsache, dass ich nicht jeden vermeintlichen Luxus und jede vermeintliche Bequemlichkeit brauche, beides meinem Kind aber dennoch zugestehen darf. Was meine persönlichen Besitztümer anbelangt, befinde ich mich also auf einer beinahe unendlich erscheinenden Ausmist-Mission. Doch wenn ich an (emotionale) Grenzsteine, wie meine alten Korrespondenzen, stoße, dann drehe ich ab und widme mich der nächsten Schublade. Ich reflektiere immer wieder, wie viel Zeug ich wirklich brauche, um für mein Kind zu sorgen. Habe mir deshalb einen Anschaffungs-Stopp auferlegt und zwinge mich jegliche Wundsalbentube und jegliches Babyshampoo aufzubrauchen. Aber wenn ich merke, dass der Schrank mit Kinderkleidung nur voll ist, weil Alles, was nicht in der Wäsche ist, nicht mehr passt, dann gehe ich Kinderkleidung einkaufen.

Es ist manchmal sehr gut sich zu disziplinieren und strikte Regeln aufzustellen. Die Kinderkleidung, die nicht mehr passt, wird umgehend zurückgegeben, wenn sie ausgeliehen war, oder in Kartons verpackt, beschriftet und auf den Speicher gebracht. Bis das nächste Kind in der Familie etwas davon braucht. Meine Pflegeprodukte im Bad und die meines Kindes am Wickeltisch werden aufgebraucht, bevor ich etwas Neues kaufe. Wenn ich Obst, Gemüse oder Brot kaufe, dann verwende ich dafür meine gewaschenen und gebügelten Stofftaschen und lasse mir keine Papier- oder Plastiktüten mitgeben. Wenn ich Kaffee unterwegs haben möchte, dann nehme ich ihn selbst mit oder lasse ihn mir in meinen eigenen Becher füllen. Und das sind nur einige meiner Regeln, die ich mir auferlegt habe, um minimalistischer und umweltfreundlicher zu leben. Sie klingen streng und anstrengend. Aber anstrengender noch sind die Selbstzweifel, wenn ich bei ihrer Einhaltung realisiere, dass sie (ökologisch gesehen) nicht weit genug gehen und ich sie dennoch niemals zu 100 Prozent jeden Tag, jede Woche, jeden Monat einhalten kann. Und dann könnte man noch drüber nachdenken, ob es für die Umwelt überhaupt einen Unterschied macht, wenn eine einzige Mutter versucht den Müll in ihrem Haushalt zu reduzieren, wo es doch so viele Menschen nicht mal interessiert.

Auch wenn mein Kind beim Einkaufen keine billigen Plastikspielzeuge einfach so von mir geschenkt bekommt, wird uns an der Kasse manchmal ein Werbegeschenk zugesteckt. Dann liegt in der frisch ausgemisteten Spielzeugkiste wieder ein neues, hässliches Spielzeug, das nach ein paar Wochen zerbrochen erst unter dem Sofa und dann in der Mülltonne endet. Und meine ganzen Minimalisierungsbemühungen waren umsonst, denn mein Kind weiß ja dennoch, wieviel nutzloses Zeug man erwerben kann. Und die Müllberge wachsen weiter.

Grenzen wohin ich sehe. Hemmnisse und Argumente dafür gar nicht erst anzufangen, einen gelebten Minimalismus mit Kind zu verfolgen. Vielleicht träumen von der cleanen Ästhetik einer minimalistischen Inneneinrichtung, aber sich abfinden mit der bunten Realität zerkratzter Möbel bzw. Spielzeugablageflächen?

Nein! Ich denke, es ist sinnvoller eine weitere Schublade mit Deko und leeren Blechdosen aufzumachen und nach den Kategorien „damit kann das Kind noch spielen“ und „wird gespendet“ neu zu sortieren, als sich von der emotionalen Barriere die alten Erinnerungsstücke wegzuwerfen, komplett entmutigen zu lassen. Sinnvoller einen Haufen Spielzeug in der Wohnung zu akzeptieren, als sich von ihm abhalten zu lassen, die eigenen Neuanschaffungen kritisch zu überdenken.

„Ganz-Oder-Gar-Nicht“ hilft mir nicht weiter. Die Frage nach meinem und unserem persönlichen Glück und unserer Zufriedenheit schon. Ebenso die stete Bemühung mir mein eigenes Denken nicht abnehmen zu lassen. Und die Bemühung mich nicht ständig zu rechtfertigen, wenn ich mal wieder nicht so perfekt war, wie ich gerne wäre.

 

 

→  hier geht es zum Beitrag „Minimalismus mit Kind, Teil 1“

3 Kommentare

  1. Danke für den Beitrag! Die Serie ist toll! Ich würde mich freuen, wenn du noch mehr schreibst!

    Ganz oder gar nicht, ist auch nicht mein Weg. Sondern so wie es für uns mit Kind und dem finanziellen Spielraum jetzt passt. Wir zahlen demnächst mehr fürs Wohnen und ich kann leider nicht mehr alle Lebensmittel in Bio kaufen. Das macht mich traurig. Aber ich kann eben gucken, was ist mir in Bio besonders wichtig (z.B. Milch) und eben alle machbaren kleinen Schritte gehen, die möglich sind.
    Dafür besteht mit dem Umzug vielleicht die Möglichkeit autofrei zu leben.
    lg Nanne

    Antworten

  2. Danke! Wenn mich die netten Minimalistenfreunde lassen, schreibe ich gerne noch mehr :-)
    Ja, das ist das Wichtigste: Abwägen, selber denken und Prioritäten setzen! Autofrei haben wir die längste Zeit gelebt und ich vermisse es sehr. Und Bio einkaufen genauso: früher hatten wir einen super Biomarkt in Laufweite, heute ist der nächste in der nächsten Ortschaft und mit dem Auto zum Biomarkt fahren, wenn der Supermarkt gleich gegenüber ist… naja… aber man findet immer kleine Dinge, die man in seinem Alltag verbessern kann. Darauf muss man sich konzentrieren und nicht auf das, was man alles nicht haben kann oder woran man (noch!) scheitert.

    Antworten

  3. Auch ohne Kind kann ich dir im Großen und Ganzen nur zustimmen! Wenn man nur ein bisschen macht, hat man immer noch mehr erreicht als die, die von vornherein gar nichts machen. Und das gilt nicht nur für Minimalismus, sondern überall, wie ich finde :)

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.