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Gastbeitrag: Minimalismus mit Kind III

Heute möchte ich darüber nachdenken, was man beachten muss, wenn man minimalistisch mit Kind leben möchte. Dabei ist mir aufgefallen, dass das für mich die falsche Blickrichtung ist. Es zwingt mich ja niemand minimalistisch zu leben. Ich lebe schlicht nach meinen Regeln, die ich mir selbst aufstelle und dann auch wieder verwerfe, wenn sie meinem obersten Ziel – glücklich und zufrieden leben – im Weg stehen. Glücklich bin ich, wenn ich Genug habe. Nicht zu viel. Nicht zu wenig. Diese Balance strebe ich an und sie hat viel mit Minimalismus zu tun. Denn es gehört eine Klarheit dazu, die man schlecht mit kopflosem Konsum erreicht. Was bedeutet das aber für mein Kind? Und fast noch wichtiger: Was bedeutet es für meinen Minimalismus, dass ich ein Kind habe?
Daher ein paar Überlegungen dazu, wie ein Kind den eigenen Minimalismus fördern und vielleicht auch fordern kann. Und dazu, wie der eigene Minimalismus das Leben mit Kind positiv beeinflussen kann. Bereit?

Sich auf das Wesentliche konzentrieren

Dann erst mal Stift und Papier zur Seite legen. Keine Pläne machen. Ganz im Hier und Jetzt sein. Sich auf das Wesentliche konzentrieren. Ich habe zwar nur ein Kind, aber ich bin relativ sicher, dass das auf alle Kinder zutrifft: Kinder holen einen ins Hier und Jetzt.

Häufig lese ich im Zusammenhang mit Minimalismus ein Credo der Achtsamkeit. Die Hoffnung, durch weniger materiellen Ballast eine größere Freiheit zu haben und in der Gegenwart zu leben. Losgelöst von einer vielleicht belastenden Vergangenheit und unbehelligt von Zukunftssorgen oder leerer Vorfreude auf etwas, das niemandem garantiert ist. Das hat man mit Kindern automatisch. Zumindest, wenn man sich drauf einlässt, was natürlich nicht immer ganz einfach ist.

Manchmal ist es zu einfach, wenn man nachts wach im Bett sitzt und der kleine Wurm auf dem Arm soooo hungrig ist aber auch sooooo Bauchweh hat und nicht schlafen, aber auch nicht trinken kann und nur weint und man selbst weint irgendwann mit, weil die Nacht endlos ist und die Müdigkeit auch. Dann ist man ganz automatisch im Hier und Jetzt. So grausig sich das anhört für Menschen, die nie einen Säugling daheim hatten, die erste Zeit nach der Geburt eines Kindes ist – so anstrengend sie sein kann – eine sehr intensive Zeit. „Normalität“ ist dann genau das, was man sich sonst durch Achtsamkeit mühsam erarbeiten muss: die Gefühle so fühlen, wie sie kommen. Werden die Kinder älter, bleiben die intensiven Elterngefühle, aber die Achterbahnfahrt wird etwas gemächlicher.

Doch häufig bleibt es die einzige wirksame Strategie: sich ganz einlassen auf den Moment. Kurz in seinem eigenen Trott innehalten und sich auf die Sicht des Kindes einlassen. Nicht versuchen, dieses zum Wohle der eigenen Routine dazu zu bewegen etwas zu machen, was es jetzt einfach nicht machen will.

Effektiver durchs Kind?

Was ich hier aufzeigen möchte sind leider keine Automatismen, sondern nur Chancen und Möglichkeiten. Ich bin manchmal (…oft) ein ziemlich zerstreuter Mensch, dessen Gedanken irgendwo und nirgendwo, aber nicht im Hier und Jetzt sind – das hat sich nicht prinzipiell durch mein Kind geändert. Und ich bin (tendenziell) unpraktisch und schusselig. Ich brauche heute noch genauso lange an einer Supermarktkasse wie vor 10 Jahren, als ich angefangen habe für mich selbst mit einiger Regelmäßigkeit Lebensmittel einzukaufen.

Man hört oft, dass man mit Kind effektiver wird. Man trödelt nicht mehr so rum bei der Arbeit, konzentriert sich auf das Wesentliche und erledigt es, damit man rechtzeitig wieder daheim sein kann. Wofür man sich früher Nachmittage frei gehalten hat, das passiert jetzt so nebenher und wo man früher viele Ausreden und Aufschübe herangezogen hat, in der Hoffnung doch drum herum zu kommen und dem gleichzeitigen Wissen, dass es zwar unangenehm ist und gemacht werden muss, aber man ja Zeit hat und vielleicht mit der Zeit die Lust kommt… da packt man jetzt einfach an. Weil man nämlich jetzt der Erwachsene des Haushalts ist und man vielleicht auch ein bisschen froh ist, sich mit Erwachsenendingen beschäftigen zu können und nicht mehr Bauklötze stapeln mag.

Aber wie gesagt: das ist leider nicht die Wahrheit. Oder zumindest nicht die ganze Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass auch Eltern stundenlang stumpfsinnig in Bildschirme starren können ohne produktiv zu sein, dass sie auch Arbeitstage haben, an denen so gar nichts voran gehen will und alles Unangenehme auf einen anderen Stapel geschoben wird. Man findet als Elternteil nicht plötzlich den Schlüssel zur eigenen Effektivität und man kann sich nicht plötzlich auf Dinge konzentrieren, die man langweilig finde. Das einzige, was plötzlich anders wird, sind die Prioritäten. Und mit den Prioritäten auch die Konsequenzen.

Und da kommt dann auch der Minimalismus mit den simplen Fragen: Welche Konsequenzen hat mein Handeln für mein Kind? Was sind meine Prioritäten? Und darüber können dann Effektivität und das konsequente Verfolgen von Zielen kommen. Ein Kind macht das Leben nicht zielstrebiger, geradliniger oder einfacher, aber ein Kind kann sehr gut dazu motivieren, sein eigenes Chaos in den Griff zu bekommen, um mehr im Moment sein zu können und um klarer zu sehen, was wirklich wichtig ist.

bild kind via unsplash

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Wenig Planung oder doppelte Planung?

Ich habe gesagt: nicht planen! Auch das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Als Eltern plant man ständig. Und wenn ich meine minimalistische Lebenseinstellung ernst nehmen möchte, muss ich nochmal doppelt so viel planen – denn das Ziel, nicht mehr zu besitzen als ich wirklich brauche, setzt ja voraus, dass ich weiß, was ich brauche. Bzw. wir. Mit Kind hat man immer eine Variable zum Einplanen und muss häufig über Anschaffungen nachdenken für Zeiten, die noch nicht gekommen sind, die aber über Nacht plötzlich anbrechen können. Beispiel: Kinderflohmärkte. Das Paradies für die nachhaltig, ökologisch und sparsam eingestellten Eltern. Nur blöderweise finden diese eben dort und dann statt, wo und wann sie stattfinden und nicht dann, wenn das Paar Ersatzschuhe vom Laufradfahren durchgelaufen ist und das zweite Paar Ersatzschuhe wider Erwarten nicht mehr passt. Jeder Flohmarkt bedeutet also die Chance, sich günstig auf den nächsten Wachstumsschub einzustellen und die nächste Entwicklungsphase mit einem günstigen ‚neuen‘ Spielzeug einzuläuten. Wenn man aber, wie ich, nicht einfach „sicherheitshalber“ die Wohnung mit (noch) zu großen Kleidungsstücken und (noch) unbenutzten Spielgeräten u.ä. vollstellen möchte, muss man nachdenken und planen. – Nur um häufig festzustellen, dass alles anders kommt.

Ein Beispiel noch zum Schluss: Vor der Geburt meines Kindes, habe ich eine kleine Strampelhose gekauft. Sie war grün, in meinen Augen „geschlechtsneutral“, mit einem schaukelnden Bären vorne drauf und hat mir einfach wahnsinnig gut gefallen. Es war eines dieser Babykleidungsstücke bei denen mir schon klar war, dass man sie einem Neugeborenen nicht täglich anzieht, sondern vielleicht nur, wenn man will, dass das Kleine richtig nett aussieht (Oma und Opa kommen zu Besuch oder so). Aber es war eben auch eines dieser Kleidungsstücke, in dem ich mir mein Ungeborenes so gut vorstellen konnte. Und ich dachte: „Größer wird ein Baby ja auf jeden Fall. Irgendwann wird es zwischendrin schon mal in die Hose reinpassen.“ Soweit so nett und gut geplant. Tatsächlich hatte mein Kind die Hose auch mal an, aber nicht oft. Ich hatte ein langes, dünnes Kind vor mir auf dem Wickeltisch und die hübsche Hose war sehr, sehr weit. Selbst mit dem dicken Windelpacket der Stoffwindeln passte die Hose einfach nicht richtig. Es war einfach eine Hose für so ein kleines Teddybären-Baby, ganz rund und knuddelig mit dicken Beinchen und kurzen Ärmchen. Und so ein Baby hatte ich nicht. Aber so einen Teddybären hatte ich. Kurzerhand zog ich die Hose einem Panda an, den wir zur Geburt geschenkt bekommen hatten. Und einige Monate später übte mein Kind Hose an und ausziehen mit dem Panda, erkannte den kleinen Bären auf der Schaukel und freute sich über die hübsche grüne Hose.

Es ist eine Elternweisheit, dass die besten Spielsachen meistens nicht als Spielsachen gekauft werden. Und es ist eine schöne Chance für ein bisschen mehr Minimalismus im Kinderalltag: Gut nachdenken vor dem Einkaufen kann nicht schaden, dazu Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist, eine ganz große Portion Flexibilität und Kreativität und den Mut über all das auch mal nicht nachzudenken, sondern einfach zu leben.

 

Das war der letzte Teil meiner kleinen Gastbeitragsserie. Ich hoffe, ich habe euch ein paar Anregungen mitgegeben. Wenn ihr meinen Schreibstil mögt, dann schaut doch mal bei mir vorbei: www.interessanterseits.wordpress.com
Wenn euch irgendwelche konkreten Themen zu Minimalismus mit Kind interessieren, wie z. B. Stoffwindeln, Müllreduzieren, Ernährung, Kleidung, o.ä. dann stellt fleißig Fragen in den Kommentaren (und vielleicht darf ich dann nochmal was für diesen Blog schreiben {na klar, immer gern, Julia! – Anm. d. Red. (das wollte ich schon immer mal schreiben :D )} )!

Auf bald mal wieder, eure Julia

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2 Kommentare

  1. Hallo Julia,

    ich habe Deine 3 Blog-Geschichten zum Thema „Minimalismus mit Kind“ gelesen und vermisse doch ein wenig die Grundgedanken zu dem Thema und die schwierigen Lernkurven.

    Kurz in Stichworten:

    Z.B.
    Warum braucht das Kind ein eigenes Bett? In vielen anderen Kulturen ist das nicht denkbar – hier ist das Familienbett Normalität.
    Warum überhaupt Windeln? Stichwort „windelfrei“ und „abhalten“.
    Geschenke fürs Kind lenken bzw. ablehnen, Schrott heimlich entsorgen…?!
    Erfahrungen und Erlebnisse den Kindern schenken anstatt Sachen…?!
    Wie ist man minimalistisch unterwegs mit Kindern? Oder mutiert man zu den Über-Eltern die immer bestens vorbereitet das Haus verlassen?

    Wenn ich richtig gelesen habe, kommt ja bei Dir die schwierigsten Entscheidungen noch: der Kindergarten. Hier empfehle ich verschiedene Kindergarten-Einrichtungen mit den verschiedenen Päda-Ansätzen zu vergleichen – und zu hospitieren! Es fällt hier schon schwer ein Kind in den „normalen“ Kindergarten mit der Reizüberflutung und den vielen „Angeboten“ zu schicken. Da wird ein jahrelanger Verzicht auf Medien (Handy, Fernseher, Computer) in nur ein paar Wochen zunichte gemacht. Aber muss es für den Minimalist ein Waldorf/Montessori-KiGa sein?

    Auch das Thema Schule, Urlaub, Medizin, Kindergeburtstage, Erziehung…und natürlich mein Lieblingsthema: sparsam vs. minimalistisch leben (mit Kindern)

    Ich denke es gibt noch Themen für 50 weitere Blogbeiträge von Dir :-))

    Viele Grüße Ede

    P.S. oder ist es vielleicht am Minimalistischsten die Kinder gar nicht zu erziehen? –> http://www.unerzogen-magazin.de/

    Antworten

  2. Haha! Danke für die vielen Anregungen. Ich glaube, es gibt wirklich genug zu schreiben. Wenn ich darf, könnte ich mir vorstellen im nächsten Jahr auf das eine oder andere einzugehen. Zum Kindergarten nur so viel: ich hatte genau 2 zur Auswahl. Beide katholisch (kirchlicher Träger). Habe mich für den entschieden, der 5 Min zu Fuß entfernt liegt (und nicht 15Min) und nach Bauchgefühl. Mein Kind besucht seit es 10 Monate alt ist dort die Gruppe für Unter-3jährige, die Kinder aller Altersstufen haben Kontakt. Daher spreche ich immer davon, dass mein Kind im Kindergarten ist. Ich habe u.a. Pädagogik studiert und ich bin recht zufrieden gewesen, von dem was ich gesehen habe. Ob der Kindergarten meinem Minimalismus dient, müsste ich mal überdenken…
    wie gesagt, danke fürs Lesen und Kommentieren. Ich lass sicher von mir hören (z.B. auf meinem Blog!)
    LG Julia

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