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min vs. max – Minimalismus bei Arbeit & Bildung

Wer minimalistisch lebt, hat oft mehr Zeit für die wichtige(re)n Dinge im Leben. Freunde, Familie, Hobbys – aber auch der Job und das persönliche Weiterkommen stehen für mich auf dieser Liste. Lange Zeit dachte ich mir, ich wäre einfach nur stinkfaul, weil ein klassicher 9-to-5 Job mich bisher immer ungemein frustriert hat – mit Fahrzeit, Überstunden (in der Medienbranche nicht grad zu knapp!) und einer Leidenschaft für seine Arbeit, die sich insofern äußert, als dass man sich in seiner Freizeit auch autodidaktisch weiterbildet und auf dem neuesten Stand bleibt – bleibt nicht mehr wirklich viel Freizeit übrig.

Daher frage ich mich, ob Minimalismus im Job – und derweil hab ich ja noch gar nicht richtig angefangen (3 Jahre Ausbildung, viele verschiedene Nebenjobs und Prakika) – nicht vielleicht meine nächste Baustelle sein wird.

Versteht mich nicht falsch – generell liebe ich was ich tue! – aber nicht unbedingt 10 Stunden am Tag und für ätzende Kunden, die sowieso nichts wertschätzen, für Chefs, die sowieso keine technischen Neuerungen sehen wollen, sondern beim Althergebrachten bleiben, für Arbeitsbedingungen, bei denen Kreativität zugunsten von Effizienz auf der Strecke bleibt.

Nachdem meine Ausbildung leider mehr als dürftig war, entschied ich mich im Anschluss für ein Studium. Bildung ist mir wichtig, und ich ging mit der Erwartungshaltung, nun endlich neues und sinnvolles zu erfahren, nicht mehr zu 100% autodidaktisch lernen zu müssen, sondern gelehrt zu bekommen, an die Hochschule… – der Autodidaktismus jedoch blieb. Steigerte sich sogar. Wenn ich mir doch aber ohnehin alles selbst beibringen muss, wo bleibt dann überhaupt der persönliche Mehrwert, eine Uni zu besuchen, außer, dass man vielleicht ein paar Leute mit ähnlichen Interessen kennenlernt und am Ende mit ein bisschen Glück, ein bisschen Interesse und viel Bulimielernen ein Zertifikat in den Händen zu halten, das einen hochoffiziell als akademisch bewandert beschreibt? Ich könnte doch auch einfach selbstständig zu 100% die Dinge lernen, die mich reizen, anstatt an der FH noch 50% mitzunehmen, die mich kaum interessieren.

Wenn ich diese Gedanken im Studienalltag äußerte, hieß es immer: „Na, du hast dir den Studiengang doch ausgesucht, wenns dir nicht gefällt, dann wechsel halt.“ – berechtigter Einwand, aber an den Studieninhalten hab ich ja nicht viel auszusetzen, viel mehr an der Umsetzung. An der Uni besteht ja zum Beispiel die Möglichkeit, seine Module selbst zusammenzustellen, während man an der FH maximal in 2,3 Fächern zwischen 6-7 Komponenten aus dem selben Themengebiet wählen kann. Wie soll man denn so lernen, was einen wirklich interessiert und auch weiterbringt? Wieso gibt es Standardfächer wie Englisch (pardon: „Medien-Englisch“, fachlich totaaaal spezialisert und auf 8.-Klass-Niveau) verpflichtend, wo man doch davon ausgehen kann, dass jeder Hochschulberechtigte das zumindest einigermaßen fließend lesen und verstehen kann?

Wie dem auch sei – das Bildungssystem ist ein ganz anderes Thema, dass ich hier gar nicht groß anschneiden will. Mir geht es um persönlichen Wachstum, Wissenserwerb, der Spaß machen soll, und nicht immer nur SINN, denn später möchte ich einen Job, der genau die gleichen Kriterien erfüllt. Er soll nicht Lebensinhalt, aber trotzdem erfüllend sein, muss nicht das große Geld bringen, sondern nur dafür sorgen, dass ich mir auch hin und wieder mal schöne Dinge wie einen Designerstuhl leisten kann. Freizeit schlägt Geld (und sogar den Stuhl.) Und sorgt dafür, dass ich mit 24 und noch vor dem richtig-richtigen Berufseintritt schon über Teilzeit und nachdenke und im Moment schon teilweise im Home Office arbeite. Und mich faul und bequem fühle. Zurecht? Oder ist genau dass das Ergebnis einer krankenden Konsumgesellschaft, die nur und ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet ist, obwohl das auf lange Sicht nicht funktionieren KANN?

Auf der anderen Seite sehe ich beinahe täglich (wie oben beschrieben, in der Freizeit auf dem laufenden bleiben und so…) unglaublich tolle Projekte, unglaublich bewegende Aktionen, absolut neue Ideen („war ja alles schonmal da“ is nich!) und bewundere deren Macher sehr. Sie scheinen ihren Job, ihre Bestimmung zu leben und im besten Fall nicht mal als Arbeit anzusehen!

Nichtsdestotrotz würde ich gern den Druck für mich persönlich ein bisschen rausnehmen. Meine Prioritäten setzen, wie ich will, wie’s mir gut tut, unabhängig von dem Gedanken, was ich ja alles „machen müsste, könnte, sollte“, um mich bestmöglich zu vermarkten. Stichwort: Life/Work-Balance. Wenn beides ineinander übergeht, kann es die irgendwie nicht mehr geben… Ich würde gern mal wieder ein BUCH lesen, statt Fachliteratur oder irgendeinen hochtrabenden Roman, den man „mal gelesen haben muss“.  Kein Verwurstungszwang mehr für alles und jedes, um es möglichst gewinnbringend im Lebenslauf oder Portfolio unterzubringen!

Soweit erstmal zu meinem momentanen Gedankenwirrwarr, nächste Woche stelle ich einige Alternativen zu klassischer Schul-/Weiterbildung vor. Was haltet ihr von dem ganzen Thema? First-World-Problems oder normale Begleiterscheinung der schnelllebigen (Selbst-)Optimierungsgesellschaft?

8 Kommentare

    • Ja, die Seite kenn ich und lese auch regelmäßig mit – die wollte ich unter anderem nächste Woche vorstellen :)

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  1. Du sprichst mir aus der Seele! Bin schon sehr gespannt auf deine weiteren Beiträge zu dem Thema.

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  2. „Und sorgt dafür, dass ich mit 24 und noch vor dem richtig-richtigen Berufseintritt schon über Teilzeit und nachdenke und im Moment schon teilweise im Home Office arbeite. Und mich faul und bequem fühle. Zurecht? Oder ist genau dass das Ergebnis einer krankenden Konsumgesellschaft, die nur und ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet ist, obwohl das auf lange Sicht nicht funktionieren KANN?“ Herrlich, das kann ich sowas von unterschreiben!
    Ich kenne diesen Zwiespalt so gut – einerseits will man mitmachen, will auch für etwas „brennen“ und seine Arbeit mit Leidenschaft machen – aber andererseits wird mir immer klarer, dass das ganze System darauf ausgelegt ist, dass jeder so denkt; dass sich jeder so im Wettbewerb zu anderen sieht, dass er sich selbst so bestmöglich optimiert. Dafür braucht es keinen auferlegten Zwang mehr, das funktioniert heute von ganz alleine, weil ständig von allen Seiten an die Freiheit, Eigenverantwortung und an „jeder ist seines Glückes Schmiedes“ appeliert wird. Wer kann, mache mit – wer nicht kann, hat Pech gehabt. Schließlich ist er selbst für sein Glück verantwortlich und hat es halt offensichtlich nicht geschafft.

    Danke für diesen tollen Beitrag! Und überhaupt für diesen anregenden Blog!

    Lieben Gruß,
    Mirjam

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  3. Pingback: min vs. max - vom Selbststudium und Entrepreunership - Minimalistenfreun.de

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