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Einmal England und zurück, oder: Wie der Minimalismus bei mir einzog

Wenn ich versuche, mich an meine ersten Schritte in Richtung Minimalismus zu erinnern, muss ich gut und gerne vier, fünf Jahre zurückgehen. Und hunderte von winzigen, kaum merklichen Schritten, von denen nur einige wenige als Meilensteine hervorstechen. Aber vielleicht sollte ich noch viel früher anfangen und viel tiefer graben.

Als Kind und Teen habe ich unglaublich gerne gesammelt: Federn, Kerzen, Bücher, Postkarten, Bastelmaterialien. Nach dem Abi dann der Auszug und das erste Wohnheimszimmer, und der Kram kam mit. Sicher, einiges war mir dann doch nicht so wichtig (das lag dann jahrelang in meinem alten Kinderzimmer bei meinen Eltern), aber der Großteil meiner Besitztümer durfte in den neuen Lebensabschnitt mit übersiedeln. Und wurde bei jedem Umzug natürlich mitgenommen. Erschwerend kam hinzu, dass ich mich ästhetisch eher zu „shabby chic“ und Landhausstil hingezogen fühle als zu Industrial Design und Schwarz-Weiß-Kombinationen, und dass räumlich doch eher stark begrenzte Studentenwohnungen es einem nicht unbedingt leicht machen, seinen Kram ästhetisch ansprechend unterzubringen.

Eine kurzzeitige Entspannung der Lage an der Kram-Front trat erst ein, als ich mich für sechs Monate zu einem Auslandssemester in England verabschieden konnte. Mit kamen nur ein Rucksack, ein Koffer und mein Laptop – und mein Wohnheimszimmer war beim Einzug so minimalistisch, dass nicht mal Bettdecke und Kissen vorhanden waren. Leider blieb das nicht besonders lange so. Einerseits mussten mir meine Eltern Sachen von zuhause schicken (überwiegend Klamotten und Bücher, die ich nicht doppelt kaufen wollte), andererseits hatte ich dank Stipendium endlich mal Geld zur Verfügung, außerdem sehr viel Freizeit und diese tollen englischen Läden vor der Nase, sodass ich dann doch mehr als nötig shoppen war. Im Nachhinein stellte sich besonders Letzteres als Schaf im Wolfspelz heraus, da ich nach meinem Auslandssemester nicht nur mit zehn Kilo Übergepäck nach Hause kam, sondern auch mit gesundheitlichen Problemen und damit zusammehängenden zehn Kilo Gewichtszunahme. Im Kleiderschrank zu Hause passte fast nichts mehr (wie gut, dass ich in UK vorgesorgt hatte), und auch psychisch und physisch war einiges im Argen.

Gezwungenermaßen wurden also alle Klamotten, die dank hormoneller Figurveränderungen nicht mehr passten, aussortiert, und, durch die gesundheitlichen Veränderungen sensibilisiert, begann ich außerdem, mich mehr mit mir selbst und meinem „Innenleben“ zu beschäftigen. Neben der praktischen Ausmisttätigkeit wurden ausgiebig weitere Strategien zum Umgang mit meinen Problemen recherchiert, denn in dieser Hinsicht bin ich wie Hermine: When in doubt, go to the library. Und genau das tat ich, auch wenn ich die so gefundenen Bücher durch umfangreiches Internetmaterial ergänzte. Ich las also Bücher über Zeitmanagement und Studienorganisation, zur Selbstfindung und zum Ausmisten, und Blogs über Persönlichkeitsentwicklung und – eben auch – Minimalismus. Dadurch lernte ich nicht nur Strategien kennen, um mit meinem Kram und meinen Organisationsproblemen (einige davon gesundheitlich-psychisch bedingt und mittlerweile zum Glück weitgehend minimalisiert) zurecht zu kommen, sondern begann auch, mir Gedanken über meine Ziele und Wünsche zu machen.

Ich war schon immer sehr introspektiv veranlagt, weshalb mir dieser zweigleisige Zugang zum Minimalismus – Loswerden des Unnötigen und Konzentration auf das Wesentliche – sehr entgegenkommt. Zwar hadere ich noch immer mit meinem Besitz (die Kerzensammlung ist noch lange nicht aufgebraucht), aber ich habe besonders in letzter Zeit immer öfter das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Dieser Artikel ist von Marie. Sie hat 2014 für die Minimalistenfreun.de geschrieben.

8 Kommentare

    • Danke für den lieben Kommentar!
      Ja, mit Hermine kann ich mich sehr, sehr gut identifizieren… ;)

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  1. Beim Kisten Packen für den Umzug fallen mir auch gerade massig Teelichter entgegen… und Strohhalme… wir können gar nicht so viel trinken wie wir Strohhalme haben D:

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    • Oh ja, das Problem kenne ich. Ich kann gar nicht so viel drucken, wie ich Schmierpapier habe, und so viele Kerzen kann auch kein Mensch anzünden. Nur die Teelichter werden dank regem Teegenuss stetig weniger. :D

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  2. Vielen Dank für deinen tollen Beitrag. Es ist immer wieder spannend zu sehen/lesen, wie andere Menschen ihren Weg zu einem einfacheren Leben gefunden haben. Zum Glück ist mir seit meiner Jugendzeit Klamotten und Deko kaufen immer schwer gefallen, aber dafür mussten andere Bereiche in meinem Haushalt minimalisiert werden :)

    Ich freu mich schon auf weitere Beiträge!
    Liebe Grüße, Apfelmädchen

    P.S.: Seid ihr auch bei Twitter? Die meisten aus der „Szene“ (z.B. Michael von minimalismus-leben.de, Frau DingDong von schwingelschwingeldingdong.com usw.) sind dort aktiv.

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    • Vielen Dank zurück – für den lieben Kommentar!
      Das wirklich gruselige an meinen Sammlungen ist, dass ich mir das wenigste davon selbst gekauft habe… aber Kerzen sind ja auch so ein tolles Geschenk, wenn einem sonst nichts einfällt. ;)

      Bei Twitter sind wir übrigens noch nicht, haben aber schon einmal darüber nachgedacht. Falls dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, erfahrt ihr es hier natürlich sofort!

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  3. Oh bitte nicht auch noch Twitter. :( Ich bekomme immer mehr das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich nicht permanent online bin und möchte doch so gerne auch in diesem Bereich minimalisieren. ;)

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